Protestkultur und Postproduktionstheorien

Der Schwälmer Medienakrobat und Filmproduzent Maxi Buck stellt seit Jahren unbemerkt Hessen auf den Kopf. Mit seinem ersten größeren Streich, „49 Problems“ richtet er die Panasonic auf kampfberauschte Frauen, die als Quälgeister den Filz aus Institutionen und bürgerlicher Selbstgefälligkeit heimsuchen. Im einst verschlafenen Dannenrod ist danach nichts mehr, wie es einmal war. Und hinter dem Tellerrand, nur noch drei runde, mit Kümmel und Zwiebel überstreute Handkäs entfernt, kocht die Klimakrise. Ein punkiges Portrait für einen ebenso unkonventionellen Filmemacher.
Maxi Buck hat an jedem Fuß meistens eine gelbe Pikachu-Socke, an seinem Rucksack trägt er ein Pappschild mit der Edding-Aufschrift „Film For Future“. Der Videograph mit dem langen Zopf hat schon fast immer Unterhaltungen in Gang gebracht. Mit 18 Jahren ging es zuerst nach Köln, für Ramsch-TV. Ein kurzer Auslandsausflug nach Corona, etwa eine Autostunde von Hollywood, in Kalifornien entfernt und ein hingeschmissenes Studium in einer Talentschmiede brachten ihn über den großen Teich und zurück in den Schoß der Provinz, auf die Bühne. Heute, ausgestattet mit der inzwischen unter seinesgleichen klischeehaft vergötterten GH5 und dem Videomic hat sich der Klamauk in die Poesie addiert, wie als Ebeneneffekt in einem Videoschnittprogramm. Oft ist die Theaterarbeit sein erkennbares Versatzstück. Maxi zeigt in Dannenrod Rohmaterial aus seiner Post-Protest-Doku „49 Problems“. GH5 im Anschlag, Demonstranten laufen über den Kamm eines Hügels auf eine Straße - das Bild ist flach und ungefärbt, ein bürgerlich dreinschauender Autofahrer steigt aus. Die Störung trifft ideologisch höchst ungelegen auf die Nerven. So kommt es vor laufendem Dreiviertelsensor in der heilen Schwälmer Welt zum Verbrechen: Der groß gewachsene Mann - Typ Familienvater - stellt sich dem Protest entgegen und schlägt seinem Widersacher ins Gesicht. Eine Frau taumelt getroffen zu Boden.
Schnittpunkte
Maxi wohnt in Mittelhessen, nur eine schnelle Fiat-Kombi-Tour vom Epizentrum des Protests entfernt. Es ist Nachts. Der Kubus einer Fabrikhalle schält sich in die Wälderlandschaft neben dem Autobahnzubringer der A5, in die die A49 eingeleitet werden soll, sofern sie sich eines Tages durch die Landschaft gefressen hat. "Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte. Nur wie bringen die Aktivist'innen die Leute dazu, wieder mehr Bahn zu fahren?" Ich habe ein schwarz weißes Blatt Papier mit der Anmoderation für eine mögliche erste Folge des SIEBENJAHRE Magazins gedruckt, ein Loch ins Papier geknüllt und die A4 Seite in die Linse gesteckt. Damit laufe ich jetzt über den Campus einer Firma und versuche meinen Text aufzusagen. „Das ist Indie-Filmmaking“ sagt Maxi, während er mir einige Stunden seiner Zeit schenkt. Ich sehe in die Kamera, spreche und scheitere. Die Aufnahme glückt nicht. Manchmal ist es für mich mit Neurodiversität so, als würde ich als erfahrener Pilot ein schrottreifes Flugzeug steuern. Neurodiversität verbindet mich mit einigen im weiter nördlich gelegenen Dannenrod, von dem wir aufgebrochen sind. Es leben hier inzwischen ein paar Cyber-Nerds, darunter kleine ökosoziale Theoretiker und andere Allgemeininteressierte. Waldbesetzungen ziehen nicht nur Revolutionäre, sondern auch Menschen mit Traumata an, ergänzt ein Helfer des "EA-Teams", der dort von der Polizei festgenommene Aktivist'innen betreut. Bei meiner Ankunft treffe ich Charlee, die rote Fäden abschneidet und mir im Februar an kalten Nachtschichten am Info-Point die Gaya-Hypothese erklärt, nach der die Erde ein einziger Organismus ist. Damit die Zeit verstreicht, gibt es Weißwein und Oriokekse. Die Beine angewinkelt, die Hände vor dem Heizstrahler, tauschen wir im Gespräch mal Hinweise auf interessante Schriftstücke, mal nerdige Details oder reine Nebelkerzen aus. Oft zeichnen diese recherchierenden Aktivistinnen in Hessen in ihrem Blätterchaos und auf vollgeschmierten Papieren nach, wie aus Ordnung das Verbrechen und aus Professionalität Korruption sprießt. Blättert man sich so seinen Weg durch die hessische Regierungsgeschichte, Bouffier, Schwarzgeldkonten, Federballspiel, dann zeigt sich, wie im Zeitraum der A49-Planung mit der nach außen scheinenden Ordnung, im soziologischen Sinn die Dysfunktion in den Landtag einzieht. Der politischen Opposition in den schwarzen und roten Ortschaften steht die Galle bis zum Hals. Von Charlee aus gemessen sind Maya oder Schlemmer, Maxi's Protagonistinnnen, meist nur eine Graswurzeltelko entfernt.

Maxi's Flow und Mayas Umkehr der Verhältnisse
Maxi lernt man am besten in Dannenrod kennen. Als möglicher Ausgangspunkt diente lange das absurd hässliche Gasthaus im Ortskern, das immer ein bisschen so riecht und aussieht, als würde es bald platzen. Zu Beginn filmt Maxi das Klimacamp. Er ist zu richtigen Zeit zur Stelle und geht mit dem Flow, seiner signaturhaften Arbeitsweise, die durch sorgfältige Planung und schriftliche Notizen fruchtbaren Boden findet. Und für einen so ergiebigen Flow muss man wohl auch ein Stück Maxi Buck sein. Maxis erste Protagonistin ist die disruptive Gesellschaftsaktivistin Maya, die sich durch ein kurzes Gespräch verpflichten lässt. Maya ist Luisa Neubauers subversive Schwester. In einer der ersten Szenen von Maxi's Doku zieht Maya auf Streife und beugt sich wie eine Polizistin ins Seitenfenster, um die Insassen eines Autos zu belehren und ihren Protest zu rechtfertigen. „Was soll ich denn sonst noch machen, das ging durch Parlamente und soweiter, meine Lebensgrundlage ist in Gefahr, ihre übrigens auch. Diese Welt brennt, wir haben die 1.5 Grad lange erreicht!“ Die Fahrer der Karosse gucken der Erscheinung verblüfft zu. Eigentlich wollten sie sich schließlich über die Zeitverzögerung beschweren. Wer belehrt hier gerade wen? Na bitte, die Verhältnisse sind für einen Moment auf links gezogen. Die beiden brillieren, der Filmer hinter, die Aktivistin vor der Kamera. Das Gesicht der Ordnungskräfte verrät, dass die Gesellschaft in ein einfaches Abhängigkeitsverhältnis gerutscht ist. Nicht die Aktivistin braucht die Gesellschaft, die Gesellschaft dagegen hat ihre ihre Aktivistin bitter nötig.
Ein denkwürdiges Festival
Kurze Zeit später wird aus dem Flow tatsächlich eine Geschichte. Maya macht eine Verwandlung durch. Schon bald hat die Aktivistin ein Funkgerät am Gürtel, das Klimafestival ist zu einem Teil auch ihre Unternehmung. Konservative Presse und bürgerliche Mitte liegen schadenfroh auf der Lauer, das Festival wird in der Bundesrepublik und anderswo das vielleicht einzig legale seiner Art. Wenn Zeitdokumente und Geschichte in einigen Jahrzehnten noch vom Interesse der Nachkriegsjahre sein werden, dann findet man sie während der Pandemie wohl auch in Dannenrod. Durch Corona bleibt die Veranstaltung ein viraler Spießroutenlauf. Man kann sich leicht ausmalen, wer sich hier einen Skandal nötigst herbeigesehnt hätte. Aber Maya hat ein funktionierendes Hygiene-Konzept, zu Corona-Ausbrüchen kommt es nicht. Lediglich kurz ist die Mitorganisatorin gefragt, als ein Fäkaliencontainer durchrostet und Exkremente über die Wiese laufen. Die Gesellschaftsaktivistin läuft ein paar Stunden mit dem Ordnungsamt auf und ab, bis eine Entsorgungsfirma den Dreck zusammen wischt und die Krise gebannt ist. Eine kleine schmutzige Geschichte wird daraus doch noch veröffentlicht, tragikomische Parallelen zum Fyre-Festival kommen dabei aber nicht auf. Die Partizipationsmöglichkeiten schaffen tatsächlich genug Selbstverantwortung und vor allem Selbstachtung unter den Besuchern. Maxi mit Kamera und Freundin Charlee, der Recherche-Querkopf, folgen Maya bei ihrem großen Wagnis auf Schritt und Tritt.
Selbstorganisation und das A-Wort
Maya bildet als anarchistische Gedankenmischerin mit kilometerweiter Ausstrahlung oft das Einfallstor neuer Menschen in die antikapitalistische Post-Protest-Experementierküche in Dannenrod. Sie hält die Selbstorganisation hoch und will Deprofessionalisierung. Ihrer Meinung nach führt es zu schwindender demokratischer Beteiligung, wenn politische Gestaltung abstrakt und weit von den Menschen weg ist. Sie hält lieber ihren Kreis aus Freunden in kommunaler Anordnung, besonders, weil sie die Stabilität der wohlfahrtsstaatlichen Zukunft hinterfragt. Man bräuchte nur "Kommune" mit "Familie" ersetzen und könnte recht schief vergleichen, dass solche Rhetorik auch zu Konservativen passt. Legitimiert das das Schweigen über Selbstorganisation in der Öffentlichkeit, entgegen derer "49 Problems", der über weite Strecken ohne ein Teleobjektiv gedrehte Film dem Phänomen beiläufig näher tritt? Angemahnt sei vielmehr: Während sich eine kleine Menge weltgewandter junger Menschen am Rand des Staates lauthals von ihm abwenden, wenden sich in dessen Mitte die Massen lautlos von der Welt ab.

Der Protest experimentiert mit seiner eigenen Nachhaltigkeit
Das Danni-Camp liefert einen Ausblick in eine Post-Produktionsgesellschaft. Es bindet eine Gemeinschaft an einen Fleck, die mit der Ökologie ihren ideelen Treibstoff gefunden hat. Und von Partizipation trennt die Bürgerlichen oft erst ein Zusammenstoß mit Gesellschaftsaktivateurin Maya. Für viele Menschen wird das Leben im Protest und die hohe soziale und politische Integration zum einzig Erträglichen - für einen Moment ist das bei mir auch so. Der Spalt zwischen fehlender Anpassung und Maßnahmenergreifung an die Klimakrise macht das Tor der Selbstorganisation für viele junge Menschen auf. Sie probieren sich in einer ressourcenschonenden Lebensweise aus und verschieben dabei die Bestandteile des Alltagslebens hin zu anderen Lebensformen und Entwürfen. In dieser etwas archaischen Gemeinschaft erkennt man auf den ersten Blick das gemeinsame Zusammenwachsen, auf den Zweiten, Genaueren, eine egalitäre Annäherung, die die Gemeinschaft wachsen lässt. Wenn unsere Gangart im Verdacht steht, die Individuen in sich gegenseitig abstoßende Atome gespalten zu haben, dann hat der große Knall, hier die von den Aktivist'innen und einer Menge bürgerliche Unterstützung gehasste Autobahn, dafür gesorgt, dass sich an Orten wie Dannenrod für einen Moment neue Gemeinschaftsformen gebildet haben. Werden solche Experimente Lösungen oder müssen sie scheitern? Vielleicht kann man, die Protest-Orte auch schulterzuckend an den Stellenwert einer ideellen Stätte verorten, die es in der westlichen Kultur kaum noch gibt. Mit reiner Ökologie, ohne soziale Experimente und dem Gerüst aus Konsumverzicht, wären diese Begleiterscheinungen des Protests jedenfalls kaum möglich gewesen.
Am Schluss der Geschichte des Widerstands gegen die A49 spaziert Schlemmer - Maxi's Flow-Protagonistin Nummer Zwei. Viele Aktivistinnen konnten die letzten Rodungen im Dannenroder Forst nach der Räumung nicht mehr anziehen. Stattdessen steht die grüne Lokalpolitikerin, die mit Campact und anderen an den Beginn der Auseinandersetzung trat, auf verlorenem Posten in einem Meer aus Einsatzwagen, die die Polizei beinahe ängstlich zur Absicherung der Arbeiten hinzugezogen hat. Neben dem "Gäst_innenhaus" bleibt sie eine Scherbe des Protests.
Der GH5 Filmer mit den Pikachu-Socken, der nach Verschwinden der letzten Baumhäuser und Barrikaden an den Ort getreten ist, steckt im Schnitt. Die vielfältigen und grundverschiedenen Menschen haben dabei jede Sekunde Filmzeit verdient. Besonders im Kampf gegen die übermächtige Autobahn, abgeschieden in der Provinz, in dem Dorf mit ehemals 161 Bewohnern, werden sie zu Frauen, Agendern, Männern, Nonbinären, Inter-und Transmenschen von Welt.
"Die politische Arbeit hat mich damals wach gehalten. Nach ein paar Stunden schlaf ging's direkt weiter." Erinnert sich Maxi. Jetzt steckt er im Schnitt seines Werks. Langsam werden die Kontraste hoch gedreht, die Farben gesättigt. Aber niemand hat gesagt, das Post-Arbeit etwas für Faulenzer ist. „I keep on ****** working“, verspricht Maxi Buck.
49 Problems (and my future is one) erscheint mitte 2022.
