Kleingartenbesetzung: Hier Bourgeoisie, da Anarchie

Wir sind in Frankfurt am Main an einem Mittwoch-Abend. Der Günthersburgpark ist überfüllt mit Menschen, die sich wie an einem normalen heißen Sommertag verhalten. Sie spielen Fußball, betrinken sich und liegen im Gras unter den letzten Sonnenstrahlen. Dabei ist an dieser Szene bei genauerer Betrachtung gar nicht alles normal. Es ist nämlich nicht Sommer, sondern Ende März, die 26 Grad sind eine schräge Temparatur und niemand hier trägt einen Mundundnasenschutz. Für das Gesamtbild, das in Folge entsteht, hat der Tagesspiegel in einem Berliner Park die Überschrift „unfassbare Corona-Szenen“ gefunden. Sie ist auch hier recht passend.
Eine Ecke weiter haben Umweltschützer, Lefties und politische Aktivistinnen ein Kleingartengebiet besetzt. Das Feinbild, eine Firma mit dem unübersichtlichen Namen "Instone Real Estate AG" (unklar: Bedeutet das Inst-One oder In-Stone? Also: "Sofort Eins", oder "Im-Stein"?) droht, hier ein oder wahrscheinlicherweise mehrere "Wohnobjekte der Zukunft" zu entwickeln. Bei den herbeigeeilten opportunistischen Kleingärtnern funktioniert es deutlich besser mit dem Infektionsschutz als im angrenzenden Park. Die Aktivistinnen tragen provisorische MNS Bedeckungen, wenn sich fremde Nähern. Vor dem Eingang des Parks ein dringlicher Hinweis: Ab dem 31.03 - also ab der kommenden Nacht wird das Wasser innerhalb der Anlage abgestellt - sie soll geräumt und später einem Wohnbauprojekt weichen - Frankfurt typisch im gehobenen Preissegment, was den Unmut einer Front von Gegnerinnen und Gegnern hervor gerufen hat. Die Besetzung hier ist anders als in vergleichbaren Szenarien nicht illegal - sie wird von den Kleingartenbesitzerinnen geduldet.
Eine davon scheint Elke zu sein - das besagt zumindest eine Tontafel vor dem Eingang eines schattigen Gartens, in dem bereits die Bodenplattform eines Baumhauses auf etwa zehn Meter Höhe ragt. Für die Aktivisten ist es erst der Beginn einer längeren Besetzung - sie haben einen Infopoint, einige Komposttoiletten und verschiedene Baumhausstrukturen errichtet. Vom abgedrehten Wasserzugang zeigen sie sich unbeeindruckt - die Gemeinschaft aus Aktivisten sammelt Regenwasser und gewinnt Strom über Solarkollektoren.
Der Morgen des nächsten Tages beginnt ebenfalls in „Elkes Garden“, den die Aktivisten nun kurzerhand „Everybodys Garden“ genannt haben und zum Barrio „Eden“ zählen. Elke sehen wir nicht. Ein Aktivist lädt uns zum Kaffee ein. Es gibt Aufstrich, Brot und mangels Strom wird noch mit Feuerholz gekocht. Eine Aktivistin beginnt den Tag wie in James Joyce Ulysses mit einer Religionsparodie, eine ungewollte Parallele, sie hat das Buch nie gelesen. Am Nachmittag spaziert ein Aktivist, der in einem blauen Turban vermummt ist, an der Grenze des Zaunes entlang, dabei spricht er in ein Funkgerät. Auf der anderen Seite steht ein gutbürgerliches Ehepaar, ein Junge mit langen Haaren läuft im T-Shirt über die Rasenfläche und spielt mit einem Akkuschrauber. Die Alteingesessenen scheinen sich bereits mit den neuen Nachbarn arrangiert zu haben. Sie werden geduldet. Garten Eden gibt's wohl eh nur auf Zeit.