Planet B? Doku-Essay über den Dannenröder Forst

Vor einem Jahr habe ich meine Karriere in einer Chemiefirma verworfen. Nichts gegen den kostenlosen Espresso da, aber ich hielt es für eine ehrlichere Idee, mit dem Fahrrad im Winter für Klimaschutz zu demonstrieren und dazu von Saarbrücken nach Madrid zu fahren. Es war ein zweitausend Kilometer langer, erschöpfender Protestweg. Wie viele Menschen ringe ich um die richtige Darstellungsform, um das jahrzehntelange Institutionsversagen zu kritisieren, dass Deutschland aktuell immer noch die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens verfehlen lässt. Nach einem Jahr als Aktivist stelle ich Darstellungsformen in Frage und bemerke, dass der Aktivismus erschöpfend ist und ich fertig war, Verarbeitungskrise. Ich habe meine Auszeit gebraucht und einiges verpasst, zum Beispiel, dass einige meiner ehemaligen Kontakte damit angefangen haben, Bäume zu besetzen. Dabei frage ich mich ernsthaft, wieso zur Hölle sich Menschen für kleine Waldstücke, wie die etwa ein quadratkilometer kleine Rodungsfläche in Dannenrod in Hessen in Gefahr begeben.
Nun dann, meine ersten Kilometer vom Aktivismus aus, zurück in eine andere gesellschaftliche Funktion, die ich in einer Tageszeitung und der Nachrichtenredaktion eines Fernsehsenders kennengelernt habe. Richtig, da war mal etwas, dass ich mit Leidenschaft gemacht habe. Nun ist es ein Ausflug neben sechs Tage Woche, oder Fabrikjob. Sagen was ist, Distanz zur guten Sache. Muss ich wieder lernen, klar. Mein Kleinwagen schlängelt sich durch die hessischen Wälder, schuldbeladen, die Bahnfahrt wäre diesen Monat kaum zu bezahlen gewesen. Im Gepäck habe ich eine Ausgabe der Bildzeitung vom 14. Oktober 2020. Titelgeschichte?: "Autobahnhasser lösen Horrorcrash aus". Ich habe sie in der Bahn gefunden, nachdem ich von dem Job auf einer Nordseeinsel zurück gekommen bin, durch den ich mir meine Kamera leisten konnte. Das hier ist keine Reportage voller geschicktem Storytelling, höflichem Desinteresse oder Berufsmüdigkeit. Es ist durch meinen Blickwinkel geprägt. Ich suche nach Antworten für mich selber.
Zum Beispiel auf diese Fragen: Ist die Klimabewegung insgesamt zu unreflektiert? Ist es unangemessen gegenüber dem Schicksal von Menschen, wenn Unbetroffene über sie berichten? Hat Nikolaus Blome recht, wenn er im Kontext Fridays For Future schreibt, dass der deutsche Wohlstand in Wirklichkeit Gutes bewirkt und afrikanische Slums rettet? Klimagerechtigkeit, ein Luxusproblem... Wenn's überhaupt eins gibt, dann fatalistisch bleiben, weil die Ursachen sowieso zu komplex sind? Und sind menschliche Katastrophen an den EU-Außengrenzen eh zu heilig, um Fluchtursachen wie den Klimawandel von Aktivisten in die Debatte bringen zu lassen, bei denen es sich laut WELT um (gelangweilte?) Großstädter handelt? Puh. Ein Glück. Immerhin komme ich vom Dorf und mache das hier gerade auch recht ungern, weil die Reaktionen so ein Wespennest sind.
Ich sehe aus dem Auto, fahre übervorsichtig. Vor mir sind Polizeeinsatzwagen im Zick-Zack geparkt, das Licht ist mal in die Landschaft mal auf die Straße gerichtet. Über die letzten Meter bis zum Gasthof in der kleinen Ortsmitte fahren Ketten aus Polizeiautos zu den Einsätzen. Fast immer wenn ich hier stehe, hält ein Polizeibus an, checkt augenscheinlich mein Kennzeichen. Kein Wunder: Der Ort liegt seit Monaten im Spotlight, am Rande einer gigantischen Lichtwolke, manchmal surren Aufklärungsdrohnen durch die Luft. An der Piste zum Waldstück steht ein brauner, abgerockter Van, ohne ersichtliche Markenzugehörigkeit, ein spontaner Helfer fährt damit Demonstranten in die umliegenden Ortschaften. Aus einem Zelt, dem „Infopoint“ ragen Kabel in alle Himmelsrichtungen, Megafone liegen da rum und es sieht aus wie in der von Kinos und Videospielen repetitiv erzählten Endzeitstimmung, vielleicht ja bloß, weil improvisiertes menschliches Zusammenleben immer so aussieht.

Neben dem Awareness-Zelt, in denen Aktivisten von ihren Sorgen erzählen können, stehe ich und lausche mit einem Ohr mit. Jemand sagt, er wäre von einer Gruppe Polizisten an die Seite gezogen worden, wo sonst niemand hinsieht, um einen Schlag kassiert zu bekommen. Er hat keinen Grund zur Lüge; weder bin ich als Reporter zu erkennen und noch habe ich mich entschieden, einer zu sein. Obwohl ich mich noch gar nicht angekommen fühle, mache ich mir schon Sorgen um meine Sicherheit. Am Beginn des Waldstücks haben die Aktivisten eine Girlande mit einer ungewöhnlichen Frage aufgespannt. „PLANET B?“ Steht dort in weißen Lettern. Ikonisch sieht das aus, aber auch ratlos, resigniert und nachdenklich. Nicht jeder scheint hier Antworten zu haben. Mit ein paar Leuten unterhalte ich mich da drunter. Ich frage sie, wie sicher es ist, im Wald herum zu laufen. „Nicht sicher“, die Polizei läuft dort angeblich Patrouille. „Abschreckung“, um hinterher weniger Leute von den Bäumen pflücken zu müssen. Es herrsche Willkür, man spaziert besser zu zweit.

„Stress braucht sie keinen, im 'echten' Leben arbeitet sie im Gesundheitswesen.“
Etwas unschlüssig gehe ich zurück zum Info-Zelt. Mir fehlt der Mut. Es ist nun bereits spät, die Sonne ist in hellrot untergegangen, aus dem Waldstück kommt blendendes Flutlicht, hinter einem Hügel das Camp der Polizisten, es sieht nach Militär aus, so wie ich es aus meiner Zeit in der West-Sahara kenne, damals, als ich mit der Kohle vom Schuften in einem Fastfoodimbiss und einem Rucksack die Wüste kennenlernen wollte und Bezüge zu meinen Hintergründen gesucht habe. Ich versuche meine Nervosität herunterzuschlucken. Am Info-Zelt spreche ich mit drei Aktivisten. Erzähle von meiner Reportage. Dafür bin ich möglichst unvoreingenommen in den Wald gefahren. Ich wollte mit Menschen sprechen und mir Eindrücke vor Ort bilden.
Schließlich kommt Jazz mit mir mit, abgeklärt ist sie, zweiundzwanzig Jahre, sie sagt, die Älteste aus ihrer Gruppe. „Na gut, komm, dann mache ich das halt“, meint sie, lächelt selbstbewusst und wir verstehen uns auf Anhieb. Sie will nicht erkannt oder von der Polizei identifiziert werden. Dafür wechselt sie täglich ihre Kleidung und wöchentlich ihren Namen. Stress braucht sie keinen, im 'echten' Leben arbeitet sie im Gesundheitswesen.
Jazz und ich quatschen über Aktivismus, dazu haben wir beide gleichermaßen Redebedarf und schlendern entlang des Stacheldrahtzauns. Die Flutlichter rattern, manche scheinen mit Generatoren betrieben zu werden. Sie spricht über unverhältnismäßige Polizeigewalt, darüber, was der Danni für die Aktivisten ist (ein Symbol) und darüber, ob Aktivismus eine Form von Extremismus ist.
So viel weiß ich: Der Verfassungsschutz selbst differenziert stark zwischen Radikalität und Extremismus. Extremismus, also gewaltsame Umsturzphantasien konnte ich innerhalb der Verkehrswendebewegung bislang keine finden. Radikalität gelegentlich - allerdings ist Radikalität im Volksmund zu Unrecht negativ konnotiert. Radikale Anschauungen sind manchmal lediglich mehr oder weniger intelligente Provokationen - grundsätzlich sind sie eine legitime Meinung, die von unserer Verfassung gedeckt wird. Zwar hat Jazz als erstes über Extremismus gesprochen, aber nach einiger Überlegung meint sie: „Wer bestimmt überhaupt, was radikal ist? Der Protest im Danni bekämpft die Symptome der gescheiterten Klimapolitik. Und die Wurzeln, die das möglich machen, sind Kapitalismus, hierarchische Systeme und das Patriarchat.“ Ich gewinne den Eindruck, es geht ihr um radikalen Wandel im Sinne einer für sie positiven Umgestaltung. So verstehe ich ihren Protesteinsatz zumindest, je länger ich mit ihr rede.
Wir sprechen jetzt über verfehlte demokratische Prozesse. Vor uns die Umrisse von Polizeibeamten, dazwischen die Schatten von Stacheldraht mit kleinen Sägeblättern drin. Mich erinnern die Bilder im Kameradisplay an die alten Kindheitserinnungen, die ich von den Ruinen der DDR-Grenzanlage habe. Im Geäst werfen ein paar Jungs, die man im Kiosk noch bei Mischbier nach dem Ausweis fragen würde, mit Schneebällen herum. Es sind faustgroße Schneebälle von Jungs mit noch kleinen Fäusten und die Schneebälle fallen auf der anderen Seite des Zaunes hinab. Von dort ertönt ein Zischen, die Polizei macht augenblicklich den Wasserwerfer an. Ich filme und versuche nicht nass zu werden. Jazz grinst entschuldigend. Scheint der normale Wahnsinn zu sein.
Ein paar Minuten später. Ich trete in eine riesige Pfütze, die Stiefel saugen sich mit Wasser voll. Der Fußmarsch wird ungemütlich. Schließlich kommen wir ans Ende des Zauns. Mein Kopf geht sofort nach oben. Man kann ja auch nirgendwo anders hinsehen. Auf riesigen Eichen stehen Baumhäuser, die Lichtung davor ist großzügig gerodet. Flutlicht scheint hinauf. Auch Jazz ist stehen geblieben. Eigentlich wollte sie längst ins Camp zurück. Wir sind beide still. Ich mache die Kamera aus. „Es ist grad für mich ein besonderer Anblick, auch wenn ich es schon viele Male gesehen habe“ sagt Jazz. „Ich habe noch nie ein Baumhaus in dieser Höhe gesehen“ sage ich. Klingt seltsam, aber bei Nacht ist es ergreifend. Avatar in Mittelhessen?

Wir sehen das allerletzte Barrio Oben. Das war auch das erste Baumhausdorf, dass die Aktivisten im Dannenröder Wald errichtet haben. Nun ist es eben das Letzte, der Rest der Schneise ist bereits gerodet. Jazz dreht sich um und wir verabschieden uns. „Du kannst hier einfach ein bisschen herum laufen. Überall sind Menschen, die etwas machen. Sieh dich einfach um.“ Ein paar Minuten später steht sie bereits wieder hinter mir. Lässig sagt sie: „Hab es mir anders überlegt, jetzt wo ich den Weg schon so weit hier her gegangen bin, bleibe ich noch ein bisschen da“.
Mir fällt auf, dass der Wald voller Betrieb ist. Überall baut jemand etwas. Unter den Baumhäusern sitzen Aktivisten am Lagerfeuer. Links läuft Musik, rechts werden Barrikaden und Tripods gebaut. An einer der Baustellen treffe ich Noah, (18 Jahre), Noah kommt wie ich von Fridays For Future ist auf eigene Faust hier. Er hat abwechselnd einen Hammer und eine Spitzhacke in der Hand. Genau wie Noah sind alle hier jung, verdammt jung. Falls sie es sind, möchten sie nicht Kinder genannt werden, sondern einfach „Menschen“. Noah scheint an einem Punkt im Leben zu sein, an dem er Nägel in Holzstücke haut. Ob ich sein Gesicht zeigen darf? Ist ihm egal. Sie alle dort stellen sich ähnliche Fragen zu institutionellem Versagen, moralischen Schulden, Lobbyismus und Faktenverweigerung. Antworten: Bisher noch unbefriedigend. Sie fragen sich, was man gegen ‚so Dinge‘ tun kann, gegen einen enorm hohen Grad an Polarisierung, Bias, Ökozid. Dagegen, dass individuelle Bedürfnisse gegen den Erhalt kollektiver Güter ausgespielt werden. Viele der Aktivisten meinen, die humanitären Katastrophen einer wärmeren Welt befürchten zu können. Mir geht's ähnlich. Einige werden verbal ‚frech‘ zu Polizisten. Ich bin politisch unabhängig, merkwürdige Parolen und Deutschpunk werde ich bei niemandem mitgrölen. Machen zum Glück nicht alle hier. Aber auch wenn später noch ein paar Schneebälle über den Zaun fliegen, wirken die Leute auf mich sozialisiert und kollaborativ. Vielleicht ist es eine Momentaufnahme dieses Abends vor der Rodung, aber es geht anders zu als bei den einsamen und distanzierten Kids, die ich aus den Orten kenne, in denen ich aufgewachsen bin. „Es ist schwer hier im Wald jemanden zu finden, der nicht nett ist. Bis auf die COPs vielleicht“, meint Noah. Ich finde keinen. Am späten Abend ist die Barrikade fertig und weitere Tripods sind errichtet.
„Vor dem Schlafen geht mein Puls noch einmal nach oben“
Ich laufe zurück und setze mich ins Auto, fahre ein Stück aus dem Wald, am Ortsausgang ein Polizeicheckpoint, Einsatzwagen, Polizisten in Kampfmontur. Ich werde herausgewunken. Wo ich hin will, fragt man mich und ob ich jemand sei, der Barrikaden baut. Ich gebe mich so demütig wie möglich als Berichterstatter zu erkennen und zeige den Beamten proaktiv den Innenraum, meinen Ausweis, meinen Führerschein und meine Kamera. Plötzlich ein Ruck, auf der anderen Seite des Autos hat ein Polizist ohne Vorwarnung meine Beifahrertür aufgerissen. Ich erschrecke mich. Vor dem Schlafen gehen geht mein Puls noch einmal nach oben. Ich werde grimmig angeschaut und aufgehalten. Um mir die Nervosität zu vertreiben, erzähle ich von der liberalen Demokratie, in der ich lebe. Dass ich nicht ins Geschehen eingreife und nur berichte. Dass ich Polizeianweisungen beachte. Dass das Zusammenleben Kompromisse erfordert und es in einer Demokratie Graubereiche gibt. Dass man sich selber eine Meinung bilden darf und sie ändern kann. Irgendwie klingt meine Politikstunde wie eine eine idealistische Träumerei, an die hier niemand mehr so recht glaubt. Ob mir das Spaß machen würde, fragt man mich. Klar, eine Provokation, ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass die Beamten einen größeren Fuck auf liberale Demokratie geben. Später bekomme ich meine Dokumente zurück. „Fahren Sie vorsichtig und noch einen schönen Abend.“ „Das mache ich, wünsche ich Ihnen auch.“ Die Stimme des Polizisten erhebt sich jetzt. „Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“, ich werde angeherrscht. „Ich habe Ihnen einen schönen Abend gewünscht.“ Ein böser Blick, man lässt mich weiter fahren.
Am nächsten Tag fahre ich wieder nach Dannenrod und laufe zurück nach Oben. Die Polizei ist mit Hundertschaften im Einsatz, die Situation ist chaotisch und das erste Mal in meinem Leben sehe ich Müll, der von Umweltschützern verursacht wurde. Der Protest ist hässlicher geworden. Aktivisten sind auf Bäume geklettert, die in der Nacht aufgebauten Tripods sind nun besetzt und in den Baumhäusern herrscht reger Betrieb. Ich filme und führe Gespräche. Am Rande steht eine Gruppe Anwohner. Sie erklären mir geduldig, wie viele Trinkwasserentnahmestellen in unmittelbarer Nähe zum Ausbau der A49 stehen, dass ein TNT-Werk aus dem 2. Weltkrieg die Schneise kreuzt und Schadstoffe in den Boden sickern könnten, dass es Alternativrouten gegeben hätte und dass der Widerstand gegen den Bau explizit auch aus Dannenrod und den umliegenden Dörfern kommt. Das überrascht mich, denn Anwohner kamen in den überregionalen Presseberichten, die ich verfolgt habe, nicht zu Wort. Einer der Anwohner, ausgerechnet der, der am lautesten schreit, war selbst mal Polizist. Während wir zusammen stehen, führt er einen verbitterten, verbalen Einsatz gegen seine ehemaligen Kollegen. „Die Stimmung in der Polizei hat sich verändert. Früher ist man als Bürger noch in konstruktiven Kontakt mit der Polizei gekommen. Heute sagt man mir, niemand der im Wald wäre, wäre noch ein Bürger und ich sollte mich verpissen.“ Eine Frau neben ihm antwortet, sie ist mütterlich, bestimmtes Auftreten, dunkle Haare: „Was glaubst du wozu die in ein paar Jahrzehnten da sind? Die werden die Reichen von den Flüchtlingen beschützen, wenn auf der Welt das Wasser knapp wird.“ Manchmal kochen die Emotionen über, es sind nur Schlagworte, die ich aus Anwohnergesprächen mitnehme, die Begegnungen sind es aber, die mich später nachdenken lassen und die meine Skepsis gegenüber den Aktivisten in ein differenziertes Bild der Interessenlage vor Ort verwandeln. Mir wird klar; sogar ich habe mich von den einschlägigen Artikeln in der FAZ und in der Bild-Zeitung beeinflussen lassen. Was in solchen Kampagnen untergeht, sind die Expertenstimmen, die sich um die hohen Trinkwasservorkommen der Region sorgen.
„Es sind junge Bürger, die mitreden wollen. Sie bekommen hier eine Stimme, aber kein Wahlrecht oder eine demographische Mehrheit.“
Bei meinen Gesprächen vergesse ich die Zeit und irgendwann fällt mir auf, dass die umstehenden Pressevertreter das Baumhausdorf verlassen haben. Jemand sagt: „Für alle die es hier interessiert, wir wurden gerade eingekesselt. Wenn noch jemand raus will dann jetzt.“ Dazu komme ich nicht. Vor mir marschiert eine Polizeikette. Ich bin noch nie in meinem Leben von der Polizei eingekesselt worden. Was macht man da? „Entschuldigung, darf ich noch raus?“ ich zeige auf meine Kamera und frage die Beamten. Ich darf nicht. „Du kannst über die Blockade klettern“ sagt einer. Mache ich, ich atme durch. Polizeiansage: „Zur Information, jemand ist in Richtung der Bagger gelaufen. Wir werden häute nicht räumen und ziehen uns wie versprochen zurück.“ Später bemerke ich, dass meine Kamera lief. Ich sehe mir die Szene an. Im Kessel hatte ich Angst. Aber: Die Beamten halten ihr Wort. Geräumt wird nicht an diesem Sonntag, sondern am darauf folgenden Montag in aller Frühe. Für die Aktivisten scheint die Lage trotzdem zunächst ein kleiner Erfolg zu sein. Wenige Stunden, nachdem sich die etwas Älteren an zivilem Ungehorsam beteiligt haben, kommen die Jüngsten in den Wald. Viele Youngster tragen Baumstämme in Richtung der Barrikaden. Es sind junge Bürger, die mitreden wollen. Sie bekommen hier eine Stimme, aber kein Wahlrecht oder eine demographische Mehrheit.

Ich komme auch am nächsten Wochenende zurück. In einem Zelt verarbeitet eine junge Aktivisten Eindrücke der Besetzung des Waldes. Sie malt zum Beispiel den „Gigapod“, eine schwindelerregende Konstruktion, die Ähnlichkeit zu einem Krähennest auf See hat. Am Infopoint drückt man mir einen Helm in die Hand: „Nimm ihn mit, wenn du den auf hast, prügeln sie nicht ganz so doll.“ Wir kennen uns inzwischen. Diesmal geht es aber ruhiger zu. Es gibt weiterhin kleine Blockadeaktionen und es wird sauber gemacht. Ein paar kleine Aktivisten fahren mit einer Schubkarre durch den Wald und räumen Müll ein, trennen ihn in beschriftete Kisten. Dabei ist auch eine Menge liegen gelassener Müll der Polizei. Viel später machen einige FDP-Politiker aus Stadtallendorf ein Gruppenfoto, sie posieren vor dem Abfall, den die Polizei innerhalb der Absperrung von den Aktivisten eingesammelt hat. Facebook-Post: „Hättet ihr gedacht dass sowas als Umweltschutz durchgeht?“. Fast vergessen dagegen: Am frühen Morgen dieses Freitags wurden bereits die Bäume gefällt, die die Besetzer „Grandpa“ und „Grandchild“ nennen, es handelte sich um hunderte Jahre alte, massive Eichen. Von ihnen übrig bleiben hellbraune Stümpfe. Ein paar Tage später wird auch die „Planet B?“-Girlande von der Polizei abgehangen. Vielleicht möchte man keine Symbole mehr.

Ich komme das erste Mal etwas zur Ruhe, mache einen Waldspaziergang entlang der Trasse. Deutschland hat zwei Drittel seiner Waldfläche im Laufe der Jahrhunderte durch menschliche Eingriffe verloren. Im Ist-Zustand und für diesen knappen Quadratkilometer Wald bedeutet das: Überall am Rand der Baustelle stehen umgekippte Bäume mit mannshohem Wurzelwerk. Ein schlechter Ort für Zynismus. Mir wird mir die Gewalttätigkeit das erste mal richtig bewusst, die nötig ist, die Vegetation und die wertvollen Böden abzutragen und zu versiegeln. An der Schneise tummeln sich Tiere. Ich sehe ein Eichhörnchen, das über die Baumwipfel läuft. Eine Maus verschwindet unter einem Baumstamm. Etwa fünfzehn Meter vom geplanten Ausbau der A49 entfernt, ein Tümpel mit Kaulquappen, darin eine fremdartige Echse. So viel Leben habe ich in den bewirtschafteten Monokulturen meiner Heimat nie gesehen. Eine Zeit lang sehe ich mir neugierig die unbekannte Kreatur an, mache ein Foto. Mein Smartphone sagt, es sei ein Feuersalamander.

„Der Protest ist ungeschliffener und rauer geworden “
Immer wieder geht es in Gesprächen um die Härte des Protests. Die Aktivisten berichten nun von Überwachung durch die Polizei, protokollieren die Vorfälle, bei denen Polizisten Sicherungsseile durchgeschnitten haben. Muss ich die aufgeheizte Stimmung im Kontext von Polizeigewalt und sichtbaren Grundzügen von Medienkampagnen durch die Polizei bewerten? Ich stehe nun dazwischen, verachte keine Polizeiarbeit, lehne das Feindbild Polizist deutlich ab und ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Mit Sicherheit hatte der Protest absurde Tiefpunkte. (Suizidsteine, what?) Laut Medienberichten gab es im Danni Gewaltbereite, sie waren eine Randerscheinung. Etwas Distanzierung hätte dem Anliegen der übrigen Demonstranten gut getan. Sorgen darf man sich um diese friedliche Mehrheit durchaus machen: Ihr Verhältnis zur Polizei scheint in die Brüche gegangen zu sein. Mein Kontakt Jan (Name geändert), macht eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf, hat sich nun die Fingerkuppen zerkratzt, er will damit erkennungsdienstliche Maßnahmen verhindern. Der Protest ist ungeschliffener und rauer geworden, insbesondere wenn man ihn mit niedlichen Vorbildern in der Pop-Kultur vergleicht. Im Danni-Jahr feierte eine Benjamin Blümchen-Kasette vierzigjähriges Jubiläum, in der der Protagonist ein Baumhaus besetzt. Wie wäre sie heute erzählt worden? Würde der Elefant sich vor Polizisten mit Totenkopf-Symbolen besonders in Acht nehmen müssen? Würde er gar gegen ein inzwischen wahrscheinliches Szenario protestieren, in dem afrikanische Äcker durch mitteleuropäischen CO2-Emissionen austrocknen und hätte er daraufhin „System Change not Climate Change“ auf einen Banner geschrieben?

Im Wald habe ich gedankenlose Libertäre getroffen, eine klare Minderheit an Chaoten, einige bürgerliche Demokraten, laute Linke, eine Menge frühreifer 'Kids'. Ist es nur ein Abenteuer-Spielplatz, in dem jeder etwas sein kann? Zu einfach, die Aktivisten schildern Gewissensbisse, die sie hier her gebracht haben, recht glaubhaft. Im toten Winkel steht auch eine Kategorie von Menschen, die ich von meinen Reisen kenne. Es sind Künstler, Kreative, Menschenrechtsaktivisten, andernorts Indigene, die im Angesicht humanitärer und ökologischer Krisen Bedauern und Aktionismus zeigen. Sie leben in einer Zivilisation mit Ablaufdatum und ohne Umwelt-Müllabfuhr. Das stresst. In der konservativen Berichterstattung finden unterschiedliche Hintergründe der Menschen im Danni dagegen kaum Beachtung.
Inzwischen hat erneut Fragmentierung eingesetzt, neue Leute sind angekommen. Trotz des individuellen Struggles überhaupt hier sein zu können, haben die Demonstranten eine gemeinsame Frage formuliert. Sie hing mal am Ende der Waldecke, der schmalen Straße, die zum Danni führt. „Planet B?“ ist ihre Kürzeste.
Was machen die Protagonisten?
Jazz meint, es sei nun Zeit für eine "längst überfällige Protestreihe." Wenige Tage später kommt es in Lützerath erneut zu Protesten, diesmal gegen die Räumung von Häusern durch den Energieversorger RWE. Die Aktivisten melden, dass sie in Dannenrod und Lützerath durch Sachbeschädigung und Brandstiftung gefärdet werden. Ein rechtsextremer Hintergrund ist wahrscheinlich.
Wie ging's weiter?
Inzwischen verteidigen immer mehr Aktivisten sehr kleine Waldstücke, zum Beispiel in Halle (NRW), Flensburg oder in einem Waldstück bei Hamburg.
Transparenz: Gedächtnisprotokoll. Manche Zitate wurden zu einem späteren Zeitpunkt in den Text eingearbeitet. Der Text wurde nicht fertig gestellt und enthält Kommentare und Einschätzungen, die für eine Reportage nicht formatgerecht sind. Ein Neutralitätsversprechen kann ich heute nicht mehr abgeben, weil ich auch aufgrund meiner Sozialisation und meinen Ursprüngen aus einer inzwischen informierten Perspektive der internationalen Gerechtigkeit filme, schreibe und berichte. Ich habe mich dennoch entschieden, den Text mit kleinen Änderungen online zu lassen.