Klimaschutzziele: Klimaphysiker Reto Knutti fordert griffige Massnahmen

Klimaschutzziele: Klimaphysiker Reto Knutti fordert griffige Massnahmen

Wie schlimm verläuft eigentlich die Klimakrise? Antworten kennt der Schweizer Klimatologe Prof. Reto Knutti. Er ist rennomierter Klimaphysiker an der ETH-Zürich, Leitautor vergangener Berichte des Weltklimarats IPCC und gibt gewohnt aufgeräumte Statements zu einem unübersichtlichen Thema. Ich habe ihm einfache Fragen zu den EU-Klimazielen gestellt. Die globalen Klimaschutzmaßnahmen wirken seit COP25 immer noch dramatisch unkoordiniert, aber der Experte erklärt den Wettlauf gegen die Zeit um das wichtige 1,5-Grad-Ziel noch nicht als verloren. Das Albtraumszenario RCP 8,5 (RCP steht für repräsentativer Konzentrationspfad und beschreibt Szenarien aus den Sachstandsberichten des Weltklimarats IPCC), hält er dagegen für unwahrscheinlich.


Wie bewerten Sie die Klimaschutzziele der Europäischen Union bis 2030?
Knutti: Ich würde das als ambitioniertes Ziel einstufen, weniger wäre jedoch angesichts der Dringlichkeit ungenügend gewesen. Wenn es umgesetzt wird und der Rest der Welt mitzieht, dann bleiben die Chancen für ein Klimaziel deutlich unter 2°C oder sogar 1.5°C intakt. Die Herausforderung wird nur aber sein, griffige Massnahmen einzuführen. Mit der Ankündigung einen Marathon zu rennen ist man noch nicht im Ziel.


Beobachter sahen die internationale Gemeinschaft im vergangenen Jahr auf RCP 8,5 zusteuern - dies gilt als einschneidendes Katastrophenszenario. Nun hat die europäische Union die Klimaschutzziele bis 2030 in einem Gesetz verankert...
Knutti: Ihre Aussage zu RCP8.5 würde ich nicht unterschreiben. Der Artikel widerspiegelt nicht die Sichtweise der Experten die sich mit Szenarien beschäftigen. Mit den heutigen Massnahmen bewegen wir uns auf eine Erwärmung von knapp 3°C zu, weit unterhalb von RCP8.5. (Anm. siehe.)


Welches RCP-Szenario halten Sie aktuell für einen wahrscheinlichen Pfad?
Knutti: Die heute implementierten Massnahmen bringen uns deutlich weg von RCP8.5, das schon lange nicht mehr als business as usual angeschaut wird. Insbesondere geht RCP8.5 davon aus, dass Kohle in der Zukunft massiv zunehmen wird, aber daran glaubt kaum jemand, es lohnt sich nicht. RCP6.0 kommt dem  «global 3°C vs. preindustrial» am nächsten.


Wie lautet ihre Einschätzung zur Klimakrise mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungspfade?
Knutti: Niemand kann die Entscheide der Gesellschaft voraussagen. Die Wissenschaft spricht daher eher von «current policy» (was wäre wenn wir die heutigen Massnahmen beibehalten aber nicht mehr tun, siehe oben) oder von «requirement», also was geschehen müsste für ein Ziel. Für ein ambitioniertes Klimaziel müssten die Emissionen weltweit bis 2030 etwa halbiert und bis 2050 auf Netto Null reduziert werden. Wenn man davon ausgeht, dass die ganze Welt gleichzeitig auf Null kommt, dann würden die EU Ziele passen. Man kann allerdings auch argumentieren, dass mit dem Prinzip der «gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung (UNO Rahmenkonvention UNFCCC) die westlichen Länder auf Grund von ihrer hohen Emissionen heute, den hohen Emissionen in der Vergangenheit, und Ihren Möglichkeiten (Geld, Technologie, gut ausgebildete Ingenieure, stabile politische Systeme) eine besondere Verantwortung haben und mehr leisten müssen. Das ist eine Frage von Fairness, oder Lastenverteilung, und die kann die Physik nicht beantworten.